Ab und an werde ich gefragt, ob ich früher getanzt habe. Und um ganz ehrlich zu sein: Wenn Leute um mich herum waren, nein, nicht wirklich. Nicht mal in der Disco – außer in einigen dieser ganz wilden Partynächte, die wir wohl alle kennen.

Wenn ich allerdings alleine war, habe ich immer schon getanzt und mache das auch heute noch; beim Kochen, beim Zähneputzen, beim Staubsaugen…

Dennoch, Fakt ist, den einzigen Tänzer, den ich jemals wirklich ohne Scheu vor den Augen anderer performte, war (und ist?) Natarajasana.

Eine sehr symbolträchtige Haltung, der ich diesen heutigen Blog widme.

Name und Symbolik

„Nata“ heißt „Tanz“ und „Raja“ bedeutet „König“. Somit ist „Nataraja“ übersetzt der „König des Tanzes“ oder auch der „königliche Tänzer“; oder kurz der „Tänzer“.

Benannt ist die Position nach einer Erscheinungsform des Gottes Shiva. Shiva ist im Hinduismus, neben Brahma und Vishnu, Teil der göttlichen Trinität (Trimurti). Während Brahma für das Erschaffen steht und Vishnu für das Erhalten, verkörpert Shiva das Zerstören.

Aber lassen wir Shiva hier mal nicht in nem schlechten Licht dastehen. Als „Zerstörer“ symbolisiert er nämlich vielmehr den Aspekt der Transformation, oder sogar Reproduktion, als die bloße Vernichtung. Schließlich muss Altes zerstört oder eben transformiert werden, um etwas Neues zu schaffen. Und genau diesen Aspekt verkörpert Shiva.


In seiner Form als Nataraja wird Shiva meist als vierarmiger Tänzer, der den Tanz des Lebens tanzt, dargestellt. Inmitten eines Flammenkreises, der das ewige Werden und Vergehen aller Schöpfungen im Universum versinnbildlicht, stampft er im Rhythmus allen Lebendigen auf die Erde.

Statuen von Nataraja zeigen ihn überdies auf dem Dämon Apasmara tanzend, welcher Unwissenheit und Selbstsucht symbolisiert. Es heißt in seiner Gnade zertritt Shiva ihn, und befreit ihn damit aus der Verblendung seines Egos und seiner beschränkten Sichtweise.

Von seinen vier Händen schlägt eine die Trommel, in Form eines Stundenglases, deren Rhythmus die Lebenszeit eines jeden Wesens auf Erden bemisst. Eine andere trägt das Feuer, aus dem alles Leben entsteht. Die dritte Hand lädt den Betrachter ein, sich ohne Furcht auf den „Tanz des Lebens“ einzulassen und die vierte Hand weist zur Erde, als Zeichen dafür, dass dieser „Tanz“ im Hier und Jetzt stattfindet.

Die Asana

Die Körperhaltung Natarajasana orientiert sich an den 108 Tanzhaltungen, die Shiva vor undenklichen Zeiten den Menschen offenbarte. Und ungefähr so viele verschiedene Varianten der Position werden wahrscheinlich heutzutage im Yoga praktiziert.

In der wohl gängigsten Variante, ist der Tänzer eine Gleichgewichtshaltung und Rückbeuge. Auf einem Bein balancierend, wird das Fußgelenk des Spielbeins umfasst, um es vom Körper weg, nach hinten und oben zu bewegen, um somit Länge auf der Körpervorderseite zu schaffen (siehe Titelbild).

Anatomisch betrachtet wird in der Haltung primär die Bein- und Gesäßmuskulatur sowie das Fußgelenk des Standbeins gekräftigt. Im Spielbein wird ebenfalls der große Gesäßmuskel, sowie die Hamstrings und Adduktoren gestärkt. Gedehnt werden Hüftbeuger und Quadrizeps des Spielbeines, sowie die Bauch- und Brustmuskulatur; überdies wird die Wirbelsäule gestreckt.

Die Asana regt den Kreislauf und die Verdauung an, wirkt fokussierend und hilft Stress abzubauen.

Was wir in der Haltung lernen können

In Balancehaltungen werden viele von uns mit der Angst zu fallen konfrontiert. Aber lassen wir diesen Aspekt mal vorweg, da ich in der oben erwähnten Variante von Natarajasana, noch nie jemanden wirklich fallen gesehen habe. Das Gleichgewicht verlieren allerdings schon. Und genau dabei können wir Geduld und Akzeptanz lernen.

Wenn wir das Gleichgewicht verlieren, versuchen wir meist viel zu hastig wieder in unsere Position zu kommen. Sowohl auf der Matte als auch im Alltag.

Das hat oft zur Folge, dass wir noch weniger die Balance finden. Wenn wir uns hingegen Zeit nehmen, atmen, unseren Fokus bewusst wiederfinden, also mit Geduld erneut versuchen unsere Haltung einzunehmen, haben wir in der Regel wesentlich mehr Erfolg.

Und wenn all das nichts hilft, nun, dann gilt es wohl zu akzeptieren, dass nicht jeder Tag gleich ist. Dementsprechend wird es immer wieder Tage geben, an denen der Tänzer äußerlich eher meinem Herumgezappel in der Disco ähnelt (in einer der eingangs erwähnten Partynächte), als Nataraja.

Die Haltung lehrt uns überdies im Hier und Jetzt zu verweilen. In Balancehaltungen über die Einkaufsliste fürs Abendessen nachzudenken, ist wenig hilfreich. Jedoch haben wir dafür auch keine Zeit, weil Natarajasana eben genau diese gegenwärtige Aufmerksamkeit erfordert bzw. quasi in sich trägt, die wir für die Position brauchen. Ganz automatisch. Das ist auch der Grund weshalb man ihr nachsagt, sie wirke fokussierend.

Und einer, der für mich schönsten Aspekte an der Asana ist, dass selbst wenn es gerade einer der Tage ist, an denen wir bombensicher das Gleichgewicht halten und uns super stabil fühlen, so dennoch eines bemerken können: Wir sind dabei nie bewegungslos. Obgleich wir in der Haltung verweilen, müssen wir ständig ausgleichen und uns neu justieren. Im besten Fall in einem von außen verhältnismäßig wenig sichtbaren Ausmaß, aber dennoch von innen klar wahrnehmbaren. Daraus können wir mitnehmen, dass das Gleichgewicht finden, oder die Balance halten, niemals Stillstand bedeutet. Ganz im Gegenteil, es heißt die Bewegung in der Stille zu spüren, mit den aufkommenden Fluktuationen umgehen zu können, in einem Prozess der steten Transformation.

Abschließende Tipps für die Praxis

  • Wie in jeder anderen Position stehen auch für Natarajasana Hilfsmittel zur Verfügung. Das naheliegendste Hilfsmittel ist eines, an dem man sich festhalten kann. Eine Wand, ein Stuhl, in der freien Natur vielleicht ein Baum, oder ein Zaun. Es ist keine Schande sich Hilfe zukommen zu lassen (das wäre eigentlich auch noch etwas, das wir aus der Haltung lernen können, stimmts!?).
  • Eine kleine Korrektur, die einem in der Asana allerdings mehr Spielraum geben kann, ist es, den Knöchel des Spielbeins von innen zu fassen (anstatt von außen). Dadurch findet man in der Schulter die geeignete Rotation, sodass speziell die Flexi-Yogis unter uns mehr Bewegungsfreiraum in der Haltung erfahren.
  • Durch den Schub des Fußes in die Hand, hebt sich oft das Becken des ambitionierten Yogis auf Seiten des Spielbeins (siehe Titelbild :-P). Prinzipiell ist die Ausrichtung des Beckens allerdings neutral. Und auch wenn es nicht darum geht, eine perfekt neutrale Ausrichtung im Becken zu finden, so sollte doch darauf geachtet werden, die Hüfte nach vorne und unten auszurichten, da eine Schiefstellung dort, beim einen oder anderen zu Schmerzen im unteren Rücken und/oder in der Hüfte führen kann.

Fazit

Als Fazit bleibt mir eigentlich nur ein Aufruf zum Tanz:

Lasst den Tänzer in euch raus! So oft es geht! In welcher Form auch immer es euch am besten entspricht. Sei es in der Disco, beim Zähneputzen oder auf der Yogamatte. Ich bin überzeugt, dass Tanzen in jeder Form uns unterstützt, den „Tanz des Lebens“ etwas leichter zu nehmen.

Alles Liebe

Eure Alex

 

PS: Wer auf der Suche nach ner melodischen Begleitung fürs Tanzen ist – on and off the mat – hier geht’s zu „Nataraja“ von Jai Uttal & Ben Leinbach ;-)